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sublimen .86.
m e i n o . d e
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„Die Ansässigkeit im Gängigen ist aber das Nichtwaltenlassen der Verbergung des Verborgenen. Zwar gibt es auch im Gangbaren Rätsel, Unaufgeklärtes, Fragliches, aber diese ihrer selbst sicheren Fragen sind nur Durchgänge und Zwischenstellen für die Gänge im Gangbaren und deshalb nicht wesentlich. Wo die Verborgenheit des Seienden im Ganzen nur wie eine zuweilen sich meldende Grenze beiher zugelassen wird, ist die Verbergung als Grundgeschehnis in der Vergessenheit versunken.“
                                                                     (Martin Heidegger)
 
 
  "Unsere Wahrnehmung wird flüssiger und flexibler, wenn wir in tiefere Bewußtseinsschichten vordringen, zu Träumen, Träumereien, unterschwelligen Vorstellungen oder den traumhaften Visionen des schöpferischen Zustands. Sie erweitert ihren Brennpunkt, um ausgedehnte Strukturen zu erfassen. Diese verschiedenen Differenzierungsstuffen in unserer Wahrnehmung  stehen untereinander in einer ständigen Wechselbeziehung, nicht nur während des gewaltigen Umschwungs vom Träumen zum Wachen, sondern auch bei dem raschen Hin und Her von Differenzierung und Dedifferenzierung, das unentdeckt ständig durch unser tägliches Leben pulsiert. Es ist  äußerst schwierig , die zwischen den scharfe Bildern unserer Bewußten Erinnerung hier und da vorhandenen Lücken, in  denen eine traumähnliche Mehrdeutigkeit vorherrscht und die Aufmerksamkeit breiter gestreut ist, in den Griff zu bekommen. Es setzt wohl eine besondere Befähigung voraus, in den eigenen Bewußtseinsstrom hineinzublicken und sich auf die unzähligen zwielichtigen Zustände zwischen den scharf umrissenen Gestalt- strukturen unserer Erinnerung zu besinnen oder vielmehr sie  zu rekonstucktieren. Freud nahm an, das Gedächtnis registriere nur die periodischen (Gestalt-) Kristallisationen im Bewußtseinsstrom, und die undifferenzierten Zwischenräume seien ein für allemal verloren - eine seltsame Annahme für den Begründer der Psychoanalyse, der andererseits die Nach- wirkung längst verlorener Erinnerungen und die Zeitlosigkeit des Unbewußten verkündigte."
                                                                  (Anton Ehrenzweig) 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
   Das deutsche Pendant für sublim ist das Erhabene, dieses - wie ich meine - etwas hochtrabende Wort beschreibt einen Gefühlszustand, der im Grunde doch recht klar und eindeutig ist. Erst durch die philosophische Betrachtung und die verbalen, rationalen Beschreibungsversuche wird der Begriff kompliziert und verschlüsselt und birgt aufgrund dieser Ratifizierung und Eingrenzung die Gefahr, verschleppt oder gar verfehlt zu werden und somit sich verselbständigend nur noch Spielwiese der Philosophen zu sein. Auf dieser Spielwiese wird nun schon in über zweitausendjähriger Tradition gerungen, die Grundstruktur eines komplexen interkulturellen Phänomens zu ergründen, mit der wohl immer noch geheimen Sehnsucht der strukturalen Linguistik und Anthropologie, sich der proteischen Prozessualität der Welt mittels immer neuer Spielregeln (damit man sich halbwegs passabel noch aus einer Abseitsposition herausmanövriert), mittels formelhafter Reduktionen gewissermaßen eines Ursatzes zu bemächtigen. Einer der fleißigsten Trainer ist wohl Kant, der eine wirksame Taktik aufstellt, aber seinen Spielern immer neue Krücken und Prothesen verpassen muß. 
  Beim Erhabenen treffen bei Kant das sinnliche und das übersinnliche Vermögen unmittelbar aufeinander. Zu dieser dialektischen Struktur gesellt sich eine Übergangsproblematik mit der Ohnmacht und Infragestellung des Subjekts angesichts der übermächtigen Natur. Der "Unlust" auf der einen Seite; zum anderen einer "Lust", die reflektierend durch eine zum Selbstschutz relativierende Vernunftsidee entsteht. Das Erhabene bleibt ein in sich widersprüchliches Gefühl, ein Paradox. Beim Erhabenen tritt also immer das eine wie das andere auf, beides zugleich, die Unlust und die Lust, die Irrationalität und die Rationalität, die Negation und die Affirmation, die Empirizität und Transzendentalität, Kritik und Metaphysik, Chaos und Ordnung, Abgrund und Übergang. Es markiert die Grenze zwischen den Extremen, versperrt den Zugang zum einen, erweitert jedoch den Blick auf das andere. 

   Dieses unaufhebbare, bis ins Sado-Masochistische gehende Ineinander von Angst und Lust, von Übermächtigt-Werden und Übermächtigen-Wollen treibt auch mich dazu, das Unaussprechliche zu zeigen und das Fühlbare zu erahnen. Um hierbei eine gültige, wahre Erhabenen Nicht-Ich-Basis zu haben (- paradox, da. ich doch auf innerer Werte blicke), um also an die Grenze/den Ursprung meiner Einbildungskraft, meines Ermessens zu gelangen, lege ich meiner Arbeit - "ähnlich wie Kant - die Schönheit der Natur zugrunde. 
Die Schönheit der Natur setzt sich jetzt aber nur aus einer mir verstandesgemäß nicht nachvollziehbaren Komplexität und einer beeindruckenden Unzweckmäßigkeit zusammen. Sobald ich sie nun einer Zweckmäßigkeit unterstelle, um sie meinem Verstand zugänglich zu machen, sie in Begriffe fasse, Unterscheidungen mache, ist nichts mehr von der wahren Schönheit übrig - ich bewege mich nur noch in meinem eigenen Definitionsraum. 
Es ist unmöglich, die Landschaften zu entschlüsseln, sie begrifflich zu exponieren. Sie sind allein über das Gefühl zugänglich. Alles in der Natur, alles, was wir nicht begreifen können, ist ”wahrhaft schön", gleichgestellt, unbeschreiblich, faktisch. Wenn wir etwas als ”häßlich" empfinden, so resultiert dies lediglich aus einer empirischen Angst, eventuell einem Instinkt, oder weil es nicht zweckgebunden an den Grenzen unseres Verstandes nagt. ”Schön” und ”häßlich” sind lediglich Begriffe, die einer zweckmäßigen Verstandesdefinition entspringen, und wir können sie nur auf (Kunst-)Werke anwenden, die eben auch aus diesem einfachen Verstand heraus kreiert worden sind.  Je mehr Absicht/Regel dahinter steht, etwas Schönes zu schaffen, umso weniger wird von der ,,wahren Schönheit" übrig bleiben. -Das soll nicht heißen, daß, wenn ich etwas häßlich mache, es dann schön wird. Das Schöne wird als angenehm empfunden, weil es den Geist nicht belastet und dem reinen reflexiven (interesselosen) Urteil die Gelegenheit bietet, aktuell zur Ausführung zu gelangen, sich zu realisieren. 
 
 
   Dem Begriff der Ästhetik haftet durch die zahlreichen endlosen philosophischen Betrachtungen, in denen er immer wieder umgestoßen und erweitert worden ist, ein komplexer Definitionsrahmen an. 
So ist es nur ein kleiner Schritt von der von John Denis implizit vorgetragenen doppelten Ästhetik zu Joseph Addison, der einige Jahre später das Erhabene vom Schönen trennen und damit der Ästhetik des 18. Jahrhunderts ihr wesentliches Kategorienpaar vorgeben sollte. 
 
  In meinem Text bezeichne ich mit Ästhetik weniger eine ethische als eine gestalterische, visuelle, harmonische Schönheit im kunstästhetischen Sinn.    Es zweifelt heute kaum ein offen denkender Kunstbetrachter an der Ästhetik eines auf billigem, bedrucktem, mit Fettfleck verziertem  Kalenderblattpapier gekrickelten Bleistiftstriches (muß er auch nicht). Ich zeige anhand meiner Arbeit, daß der Begriff der Ästhetik im traditionellen akademischen Sinn nicht nur sehr dehnbar, sondern vollkommen überflüssig ist. 
 Ästhetik kann sich nur auf Form, Materialität, Farbe, Malweise, Motiv, Komposition oder Abstraktion (Wiedererkennen) beziehen. Diese einzelnen Kategorien werde ich nun anhand meiner Arbeiten näher definieren. Es treten dabei auch immer wieder Überschneidungen dieser Aufteilung auf, die aber zu keinerlei Hoffnung auf das Vorhandensein einer Ästhetikformel verleiten sollten. 

   Schon seit der Jahrhundertwende fordern immer wieder Künstler die Loslösung aus den klassischen Denkkategorien der Bildbetrachtung. Die Dadaisten, oft schon frei von Bildträgern, und die Kubisten mit ”polydimensionalen" Ansichten, aber immer noch ästhetisch auf der Leinwand verhaftet.
 Letztendlich scheint das schwarze Quadrat von Malewitch als die gereinigte Bildfläche, auf der alles Denkbare erscheinen kann: eine Imaginationsfläche, auf der die Zeichen und Graphismen frei eingetragen werden können, auf der jede Linie als Wunde und jedes Bild als Übermalung kenntlich wird, das gleichzeitig vor der Unendlichkeit schützt und auf sie hinweist. Was hier die Einheit von Logik, Erscheinung, Schein und Geheimnis der Welt ausmacht, ist alle mal schon durch die analytischen Zerreißproben in den gereinigten Wissens- und Bildräumen bis in ihre tautologischen Leerstellen entseelt und entfremdet. 
 
  Bei meiner Analyse der Bilderwelt habe ich mich logischerweise zuerst mit dem Bildträger befaßt. Am prägnantesten wird die Sprengung der Fesseln von der durch die Jahrhunderte lang eingefahrenen viereckigen Form des Tafelbildes durch die offene Puzzleteilform gezeigt. Diese Form birgt mit ihren vielfältigen Variationen die Verdeutlichung einer Beliebigkeit der Form. Selbst dem dogmatisch veranlagten Menschen erleichtert die Puzzleform die Loslösung von dem althergebrachten Tafelbild und den Einstieg in eine neue Betrachtungs- dimension, da diese Form seit Kindheitstagen vertraut ist. Wenn man nun beginnt, anstelle eines ”fehlenden" Puzzlespielteils auch ein Bild zu erkennen, lernt man diese frei von jeder Form auch anderen Ortes - ja überall - zu entdecken. 
 

 Es erweist sich schon bei Duchamps ”Ready-made" Objekten als zweckmäßig, sich möglichst nahe an der Realität zu halten und, den Weg frei von persönlichen, künstlerischen Intentionen, den Begriff der Ästhetik innerhalb der bildenden Kunst in Frage zu stellen. So habe ich versucht, die jeweiligen Teile möglichst frei von manierierten künstlerischen Orgasmen zu malen. Auf dieses ”van Gogh-Syndrom” gehe ich bei den Puzzleteilen von Reproduktionen seiner „Sonnenblumen“ noch näher ein. 
 
  Um eine weitere künstlerische Domäne umzustoßen, habe ich es mir praktisch zur Auflage gemacht, selbst das Motiv beliebig auszuwählen. So habe ich frei nach den Dadaisten gearbeitet-  , die im ”Cabaret Voltaire" ihre Gedichte verfaßten, indem sie Papierschnipsel mit Worten darauf auf dem Tisch mischten und das Gedicht in der Reihenfolge verlasen, wie sie die Schnipsel zogen. Ich habe nun Tausende Puzzleteile ausgeschüttet und ein paar daraus gezogen, um sie dann, auf ein anschauliches Maß vergrößert, zu malen. Dabei sind auch die druckspezifischen Unzulänglichkeiten von mir mitgemalt worden, da ich es nicht wagen würde, die Natur imitieren zu wollen. Es sind also immer Reproduktionen von reproduzierter Natur/Realität. 
  Bei diesem Spiel mit der Reproduktion ist der Vergleich zur Pop-art, insbesondere zu Andy Warhol mit seinen ”Reproduktions” populärer Konsumstücke durchaus beabsichtigt. Hierbei wird durch die zweite Reflexion die nochmalige bewußte Entfremdung der Entfremdung deutlich.    Die Tradition bis zur Renaissance lehrt, daß das Neue in der Kunst, was sich insbesondere im Verständnis der Imagination oder der Phantasie niederschlägt, nur eine Kombination aus bereits bestehenden Eindrücken oder Sachverhalten sein kann, eine Montage also wie ein Fabelwesen, die aus den Teilen von verschiedenen Tieren zusammengesetzt werden. Die Malerei ahmt also nicht die Idee von etwas nach, sondern sie bildet bereits Nachahmungen ab.


 
 
 
 
   Bei Platon weist der Vergleich mit dem Spiegel, mit dem jedermann den Demiurgen simulieren kann, darauf, daß für ihn wahrhafte Nachahmung mit dem Wissen um das Nachgeahmte unlösbar zusammenhängt:     ,,Es geht ganz leicht und wird oft angewendet. Am schnellsten, wenn du einen Spiegel nehmen und ihn überall herumtragen willst. Rasch kannst du die Sonne schaffen und die Welt des Himmels, rasch die Erde, rasch dich selbst und alle Tiere und Geräte und alles, was wir eben aufzählen.” ”Ja, als Abbilder, nicht als wirklich und wahrhaft existierend.“     ”Sehr gut! Du kommst gerade dorthin, wo die. Frage dich braucht. Denn zu diesen Meistern gehört auch der Maler. Nicht?“ ”Ohne Zweifel.“      ”Doch wirst du einwenden, sein Werk ist nicht wahrhaft da; indessen auf irgendeine Weise schafft auch der Maler einen Stuhl. Nicht?“ ”Ja, wenn auch nur einen scheinbaren." ... ”Wie verhält sich die Malerei zu jedem Ding? Schafft sie Nachahmungen nach dem wirklichen Objekt oder nach seiner Erscheinung, ist sie also Nachahmung der Realität oder des Scheinbildes?“      ”Des Scheinbildes." ”Weitab von der Wahrheit steht also die Kunst der Nachahmung, und gerade deshalb schafft sie alles nach, weil sie nur wenig von jedem Ding erfaßt und da nur sein Scheinbild."
   Die Menschen der Vorgeschichte versuchten ihre Auslieferung an die Mächte der Natur zu kompensieren, indem sie bedrohliche Naturereignisse durch Begriffe bannten. In der Festlegung der Natur auf Begriffe trennte sich die erfahrungsgemäße Einheit von Bild und Begriff. Zugleich traten die Menschen den Naturobjekten als definitionsmäßiges Subjekt gegenüber und versetzten sich damit in die Lage, Natur zum Mittel ihrer Zwecke zu machen. In der Erzählung (griech. mythos) formten die Menschen die Natur nach ihrem Bilde. Darin lag für Horkheimer/Adorno die aufklärerische Seite des Mythos begründet. Es ist nun entscheidend, daß die aufgeklärte Vernunft diese mythologische - auf Unterwerfung der Macht basierende - Struktur in sich integriert hat, anstatt sie sich reflexiv gebrochen zu Bewußtsein zu bringen. Deshalb steht noch immer die Natur, auch die innermenschliche, der Vernunft als etwas sie Gefährdendes gegenüber. Dieser Bedrohung entledigt sich die Vernunft durch steigende Rationalisierung aller Lebensbereiche. 
                                                           * 
Vincent van Gogh gilt wohl schlechthin als ein obsessiver Maler mit persönlichem Ausdruck, Geste, Duktus und was sonst noch dazu gehört.    Seine Sonnenblumen, wobei er verschiedene gemalt hat, meint jeder zu kennen, und es ist ja auch schon immens viel über ihn und eben diese(s) Bild(er) geredet und geschrieben worden. Wir alle kennen diese ,,Sonnenblumen" von Reproduktionen - glücklich diejenigen, die sie im Original gesehen haben. Die Chance, sie jetzt noch jemals zu Gesicht zu bekommen, ist wohl sehr gering, da dieser Meilenstein der Kunstgeschichte - es erscheint mir als purer Hohn und gleichzeitig signifikant für unsere Zeit - sicher bewacht in irgendeinem Tresor als Wertanlage schlummert.    Ich fand es nur naheliegend, auf diese Sonnenblumen in meinem Puzzle einzugehen. So habe ich mir mehrere Reproduktionen besorgt, und, wie sich zeigte, blieb von dem „Duktus" nichts außer differenten Grauwerten übrig. Besonders frappierend waren die Farbunterschiede dieser Reproduktionen. Mir stand somit fast wieder das gesamte Farbspektrum für meine Arbeit zur Verfügung. 
  Es ist also nach wie vor die Frage: „Welchen (ästhetischen) Sinn hat dieses Bild für den Betrachter, außer daß er weiß, daß es teuer ist und van Gogh ein gepeinigtes, für ihn auch intensives Leben am Rande seiner existentiellen Möglichkeit gelebt hat. 
   In der bürgerlichen Gesellschaft spielt Kunst vor allem seit der Romantik ja auch die Rolle eines anderen zum Vorhandensein. Sie galt als Veranschau-
lichung künftiger Wahrheit, als Vorschein einer anderen Gesellschaft, als Versöhnung von Kultur und Natur, als Erinnerung an das Verdrängte oder als Einspruch gegen das System. Wie auch immer dies andere, dies Transzendierende verstanden wurde, so hat diese Position, man denke nur an den gleichzeitig entstandenen Geniekult, dem Künstler eine Sonderrolle zugesprochen. Das changiert zwischen dem Märtyrer an der Gesellschaft und dem Hüter des Anderen, was die Kunst immer mehr zur Ersatz-und Fluchtdimension werden ließ. Aber man muß sich doch hier fragen: Ersatzdimension wofür und Fluchtdimension wohin? 
  Sicherlich ist uns seit den Tagen der steinzeitlichen Kulthöhlen, wo die Kunst noch Leben und Tod, Erde und Himmel, Offenheit und Orientierung, Geschichte und Natur, Menschenleben und Gestirnsbahnen zu Deutungen verband, die die angemessene Beziehung zu gestalten erlauben sollten, einiges von den metaphysischen Kräften, - welche vielleicht für einen alles umfassenden Wohlklang zu sorgen imstande wären-, verloren gegangen oder zu mindest in einer der hintersten Schubladen unseres Gehirns abgelegt worden. 
  Kann man dem Künstler als Hüter des Grals nun noch eine Sonderrolle,
etwa als Sachverwalter des Ästhetischen, zuschreiben? Kunst ließe sich auch als eine Expertenenklave wie andere verstehen, die sich in den Routinen ihrer Institutionen weiterentwickelt haben, aber ohne an Bedeutung für das gesellschaftliche Ganze sind, -zumal die Massenmedien ja ohnehin die dominanten Bildwelten produzieren. 
    Die oft erwähnte, aber selten inhalierte Kategorie der Schönheit, der Ästhetik,  wobei das ”Häßliche" ja auch ”schön" sein kann, erweist sich in Anbetracht der Kunstgeschichte als erweiterbar und gewöhnungsabhängig! Die biologische Grundlage allen Ästhetischen ist die empirisch wirklich gelebte Zeit (ein gemeinsames existentielles Moment). Ich habe aber diesen Weg der direkten Empirie bei meinen Puzzleteilen nicht gescheut, um dies zum einen zu verdeutlichen, zum anderen den immensen kompositorischen Fundus, den uns schon die visuelle Natur bietet, aufzuzeigen, des weiteren aber enthülle ich auch die bildhafte Begrenztheit der Mittel, da die Ausschnitte sich abstrahierend strukturieren. Das Puzzle als Einzelteil haben wir ja bereits als Bildform akzeptiert und sind geneigt, es uns übers Sofa zu hängen. 
  Die Ästhetik ist empirisch; wieviel Empirie, Puzzleteile, Ausschnitte verkraftet dann unser abstrahierender Gehirnspeicher an Komposition? Größe ist ein relatives Maß; folglich ist das Format unter diesem Gesichtspunkt kein Kriterium. Wenn es dann so ist, daß man sich an alles gewöhnt und sein Gehirn zu immer komplexeren Betrachtungsweisen trainieren kann, da eröffnet sich uns doch schon wieder die scheinbare Beliebigkeit, die unendlichen Kombinationen der Bilder, das undurchdringliche Chaos, das Labyrinth ohne Ausgang auf eine sonderbare, wohltuende, ins Grenzenlose hinaus gleitende Ruhe und Gelassenheit. Losgelöst von hemmenden Gedanken, die nun ins Uferlose verschwinden, könnte man sich doch nun wirklich in dem ,,Bild" verlieren, sobald man die Blockade in unserem Hirn überwindet, welche uns in unserem tagtäglichen Leben davor behütet, existentielle Dinge, soziale und gesellschaftliche Verpflichtungen zu vernachlässigen 


 
 
”Das Chaos ist die Grundanschauung des Erhabenen.“
                                        (F. w. j.Schelling)
Mit Chaos bezeichnen wir alles, was zu komplex ist, als daß wir es begreifen würden, mit unserem Verstand fassen oder bewältigen könnten. Wir extrapolieren dieses mit einer ”Vernunftsidee" in eine Idee des Unendlichen. 
   Schon die alten Griechen beschrieben mit diesem Begriff einen ordnungslosen Urzustand, einen aufklaffenden Abgrund, den unermeßlichen, leeren Weltraum. Im Chaos, gibt es keine Zuordnung, es ist ordnungs- und bestimmungslos, trennungs- und definitionslos, eine schwammige Masse. Doch die neuesten wissenschaftlichen Forschungen auf dem Gebiet der komplexen Systeme belegen heute mit Hilfe hochwertiger Computersimulationen anhand von Abbildungen, daß sich eine, zwar nicht vorhersehbare, Struktur bildet, sogenannte Unendlichkeitsschleifen oder Apfelmännchen. Hier hat ein Forscher genügend Humor besessen, diese komplexe Darstellung, die alles menschliche Ermessen übersteigt, mit einem solchen Begriff zu verballhornen und so gleichzeitig den Menschen auf den Boden seiner geringfügigen Vorstellungswelt zu verweisen. Es liegt nahe, zu vermuten, daß man nun, wo man die Struktur des Chaos sozusagen am Angelhaken hat, eines Tages doch eine Art Urgesetz und Theorie der ganzen Welt und des Lebens zu erlangen. Jedoch so, wie die Relativitätstheorie sich über die Grenzen von Raum und Zeit hinwegsetzte, die Quantentheorie einem exakt kontrollierbaren  Meßprozeß  ein  Ende setzte, erledigt die  Chaostheorie Laplace' Utopie deterministischer Voraussagbarkeit. 
   Je mehr wir wissen, umso mehr tut sich uns auf, von dem wir nichts wissen. Diese alte Weisheit wird hier von neuem bestätigt und unsere verstandesmäßigen Denkgerüste immer komplizierter,- aber was nützt dem Einbeinigen noch eine weitere Krücke? Sollten wir nicht lieber versuchen 
(- vielleicht ein reaktionärer Ansatz?), im Wissen um die Pluralität und Instabilität der Welt - wo wir nun doch erkennen, daß Mensch und Natur und alles, was um uns herum ist, auf sonderbare Weise zusammengehören, voneinander abhängig sind und zu einem großen Ganzen gehören - die Grenzen unseres Verstandes anzuerkennen, mit ihnen zu leben? An dieser Schwelle, dem metaphysischen ”Übergang" von der Zweckwelt zur Sinnwelt, an der Grenze des Sublimen (lat.: bis unter die obere Schwelle reichend) zu schweben, uns treiben zu lassen und nicht durch Verstandeskategorien unsere Sinne zu verschließen vor dem, was aus dem unendlichen Chaos, durch die perforierte Membran (vielleicht Schutzhülle vor dem Wahnsinn), in aller Reinheit zu uns dringt? 
  Es geht nicht darum, an die Unendlichkeit heranzukommen, sie zu erklären, man muß sie spüren, man muß sie sein. Dies ist auch ein Übergang von unserem dualistischen Denken zu einem Pluralismus, wenn auch gedämpft. Vielleicht kommen wir so von dem Ich-Du-Denken unseres Zeitalters des Identitätszwanges zu einem sozialen, neoevolutionären Wir-Denken, einem Weltgefühl. 


 
 

„Der Schwebezustand, aus dem heraus diese Bildwelt spricht, ist nicht die Flucht, sondern das Bekenntnis zu einer sensorischen Offenheit, die Horizonte unermüdlich neu absteckt.  meino praktiziert sie künstlerisch und vital, sich experimentierfreudig und metaphernschöpfend in der Spannung zwischen unwagbarer Hoffnung und alltäglichen Scheingewissheiten bewegend. Seine explorative Kunst deckt uns in jedem ihrer Zeugnisse neue, vom Alltag trügerisch ummantelte Nahtstellen zwischen Natur, Kultur und Sozialwelt auf. Indem er uns sehen macht, was wir zuvor an Dingen, in uns selbst und an unseren Mitmenschen so nicht wahrnahmen, wirkt meino sowohl sinnerhellend als auch politisch aufklärend.“
                                                                                Zitat: Fr. Dr. K. Mosel


 „Die Suche nach den Grenzen des Möglichen---Identitätswille, beinhaltet das Scheitern als positive Erkenntnis. Platonisch gesehen ist es das Scheitern der Idee an der Wirklichkeit, wobei die wiederkehrende Erfahrung des Scheitern nur das höchste Maß anstrebbarer Realisierung bedeutet und als Erkenntnis zu werten ist, nicht als Resignation. Für das Begreifen bildnerischer Umsetzung solcher Denk- und Verhaltensweise könnte man den Ausdruck -Bruchstücke- assoziieren. Bruch-stücke sind dann ein Zeichen beschrittener Wege, die offen bleiben . Das Bruchstück selbst, das einzig wirklich Erfahrbahre ist das Dinghafte des Bildes als Mittel zur Verständigung - das Eigentliche liegt hinter der erfahrbaren Wirklichkeit im Raum der Vorstellung. Das Bild als Urelement, das magische Bild, das durch sich selbst Redende bleibt wirksam, auch wenn es von rationalistischer und kategorischer Denkweise entwertet wird.   Die Anstrengung der Begegnung mit solchermaßen zeitgenössisch-unmittelbarer Bildwelt beruht nicht so sehr auf der Bewältigung der Erfahrung tradierter Anschaulichkeitskriterien, sondern eher auf der möglichen gedanklichen Ebene eigenen zeitgenössischen Bewußtseins. Begriffene Wahrnehmung als Resultat solcher Begegnung vollzieht sich nur in Erfahrungszusammenhängen von Erinnern - Wissen - Fragen. Ich gerate durch die Dinge in Bewegung und die Dinge geraten durch mich in Bewegung.“                                Zitat:  Jürgen partenheimer
 
    Dieses wundersame Chaos wird am deutlichsten in meinem Kunststoffpuzzle. Es handelt sich hierbei um ein in Format und Größe variables Puzzlespiel, bestehend aus 35 bis 70 mehrfarbig marmorierten Kunststoffteilen. Sie sind, ähnlich wie die Fliesen eines Badezimmerbodens, immer in der Maserung umeinander versetzt, und die Einzelteile haben eine mit denen der Selbstportraits identische Größe und Form, also jeweils etwa 45cm x 60cm.  Mich reizt in diesem Fall die klare Materialität des Industrieprodukts Kunststoff, um eben die Kunst von der klassischen Materialästhetik und eventuell manierierten persönlichen Eingriffen freizuhalten. Es wird auch durch das Material keine scheinbare, organische Brücke ins Bild vorgegaukelt, sondern sie wirken durch ihre reflektierende Hochglanzoberfläche unnahbar und bergen gerade dadurch doch so viel Freiraum für den Rezipienten.
                                                                                                         Eine illustre, in dieser Größenordnung nicht beabsichtigte, aber doch signifikante und zugleich relativierende Tatsache möchte ich noch anführen: Durch die Austauschbarkeit der Einzelteile meiner beiden Portrait-Puzzles ist es mir gelungen, eine im chaotischen Maße unendliche Anzahl verschiedener Bilder zu zeigen - und solange die Welt existiert, wird es nicht möglich - sein, alle zu zeigen. Ich habe meinen Bruder, der Zahlentheoretiker ist, gebeten, mir diese Anzahl der Variationsmöglichkeiten einmal an einem Computer des Max-Planck-Instituts für Mathematik auszurechnen. Es kam dabei eine Eins mit einhundertsiebzig Nullen heraus. Nun, da ich mir darunter nichts vorstellen konnte, veranschaulichte er es mir so: Die Anzahl der Elementarteilchen (Protonen, Neutronen etc.) im gesamten Universum wird auf eine Eins mit achtzig Nullen geschätzt; wenn ich nun rein fiktiv zehn Universen zur Verfügung habe, habe ich einundachtzig Nullen; bei Hundert: zweiundachtzig Nullen usw. So muß ich die Anzahl der Elementarteilchen eines Universums mit der Anzahl der Elementarteilchen des Universums multiplizieren, um etwa auf die Anzahl der Variationsmöglichkeiten meiner beiden Puzzles zu kommen. Dies ist nun wahrlich unendlich und doch nur die Oberfläche von zwei Abbildungen meiner selbst. (- Picasso soll lediglich drei Bilder am Tag gemalt haben).
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  Es ist an der Zeit, sich der Frage nach der Notwendigkeit der Bilder zu stellen - wo wir das Schöne überall, in uns selber und am wenigsten in gemalten, somit durch unvollkommene Menschenhand und -geist eingeschränkten, reduzierten Bildern, finden. Wenn ich sie als Fixpunkt oder Katalysator für meine Gedanken, Gefühle, Sehnsüchte und als Erinnerungsstützen für Lebenssituationen brauche, so frage ich mich, ob nicht meine Gedanken und Gefühle ohne Fixpunkt, der sie nur festhält, viel intensiver, komplexer, chaotischer, reiner und über das normale Maß hinausgreifend sind. Wenn ich neue Welten erleben will, darf ich mich doch nicht von vornherein einschränken und die ausgelatschten Pfade meiner Selbst ein zweites und drittes Mal gehen. Natürlich kann man seine Sensibilität anhand von Kunstwerken schulen, aber selbst wenn der Künstler - rein fiktiv - alles, was er meint, über das Bild imstande ist zu vermitteln und wir sensibel genug, alles zu empfinden, so sind dies doch nur die Empfindungen, Gedanken eines anderen. Die Katalysatorfunktion der Bilder ist zwar schön und gut, aber ich meine, daß es eher ein Manko unserer Selbst ist, wenn wir eingestehen, daß wir so etwas brauchen. Wir zeichnen uns selber dafür verantwortlich, wenn wir dadurch in die Rolle des gelenkten, kontrollierten, unfreien, unvermögenden, ahnungslosen Rezipienten gedrängt werden. Also bewirkt jemand, der sich zur Selbsterbauung Bilder vorsetzen läßt, eigentlich das Gegenteil, er reduziert sich auf das Niveau schlechter Reflexionen Anderer. Es hat auch keinen Zweck, weil durch grundsätzlich falschen Ansatz von vornherein zum Scheitern verurteilt, hierbei eklektisch vorzugehen und von jedem Künstler das Passende, Gefallende auszuwählen.
    Die Bedeutungslosigkeit ist, so Clemant Rosset, nicht durch einen Mangel an Wegen, sondern vielmehr wie in einem Labyrinth durch eine Vermehrung von Wegen definiert.     Das Unendliche ist ersetzt durch die turbulente Leere, in die das Ereignis einfallen soll: ,,Das Geheimnis der Dinge besteht gerade darin, ohne Geheimnis zu sein. Die grundlegende Botschaft ist nur ein Geräusch und es gibt keine Zeichen. Wer aber kann ertragen, daß es auf dem Grund jeder Lektüre nichts zu lesen gibt.."                                                                        <MichelSerres> 
Dies ist ein starker Satz und sicherlich in seiner Logik unantastbar und unumstößlich. Er ist wert, darüber nachzudenken, birgt er doch womöglich die Auflösung aller Kausalität der Kunst; denn wird Kunst nicht als eine transitorische Energie begriffen, die das Jenseits von ihr im Blick hat, so wird sie zu einer Form dekorativer Intellektualität, die folglos, steril um sich selber kreist. Aber wir müssen vielleicht auch nur lernen, genau hinzuhören, um diesem Geräusch zu lausch- en, uns von herkömmlichen Denkkategorien lösen und uns der dekonstruktivistischen Lust am Schwindel hingeben; der Faszination, den Boden zu verlieren und einzutauchen in ein Universum-  , in dem es überall Abenteuer und Überraschungen geben könnte, während es sich dem Sinn, dem Zweck und der erkennbaren Bedeutung entzieht.
   In ganz ähnliche Richtung ziel Lyotards Thematisierung des Erhabenen. Erhaben ist für ihn letztlich, was unkonsumierbar ist und sich der Bedeutung und dem Sinn entzieht. In diesem Sinne versteht er wirkliches Denken als die Bereitschaft, Ereignisse zu empfangen, wobei es nicht darum geht, was etwas ist, sondern, daß etwas ist: ”Nur die Fähigkeit, das zu empfangen, was zu denken das Denken nicht vorbereitet ist, verdient, Denken genannt zu werden ... Denken heißt alles in Frage zu stellen - auch das Denken, die Frage und den Prozeß. Nun verlangt das Infragestellen aber, daß etwas geschieht, dessen Grund noch nicht bekannt ist. Wenn man denkt, akzeptiert man das Vorkommnis als etwas, was es ist, nämlich als ,,noch nicht" bestimmt. Kein Vorurteil, keine Sicherheit. Man streift in der Wüste umher." 
  Oft ist es schon vorgekommen, daß ich in eine Ausstellung oder ein Museum gehe und vor lauter Überfluß, Mangel an Platz und Eitelkeit der Museumsdirektoren, alles zu zeigen, was Rang und Namen hat, lieb und teuer ist, gar nicht mal mehr die Einzelbilder eines jeweiligen Künstlers lange und intensiv genug auf mich einwirken lasse, um überhaupt einen Eindruck von seinem Schaffen zu bekommen, sondern es wirken vielmehr alle Bilder gemeinsam, die gesamte Konstellation mit- und gegeneinander auf mich ein. Diese meist enge Hängung habe ich in meinem Puzzle ,,63 Künstler" wörtlich zugespitzt und den pleonastischen Charakter der Museen so übersteigert, daß, wie ich meine, in der Wirkung fast wieder ein reines Bild entsteht dadurch, daß sich gegenseitige Wirkungen, Ansichten in der Masse auflösen, neutralisieren und nihilisieren. Das Puzzle ,,63 Künstler" besteht wiederum aus den formidentischen Standardteilen und beschreibt insgesamt eine Fläche von etwa 2,70m x 3,60m. Ich habe 63 Kunststudenten und Künstlern je ein Teil zur freien Gestaltung zur Verfügung gestellt und kann sie nun durcheinander, miteinander verschachtelt präsentieren. Um es nochmal zu betonen: Es gab außer der Form keinerlei Vorgaben oder künstlerische Einschränkungen. Gleichzeitig möchte ich allen 63 Beteiligten nochmals für ihre Mitarbeit danken. 
    Es ist eine Gradwanderung auf der Grenze zum Chaos, zum Wahn. Unseren gewachsenen Sinnen müssen wir eine mitwachsende Vernunft an die Hand geben, die in pluralistischer, sozialer, ökologischer Weise sich den neuen Gegebenheiten anpaßt und dennoch den Phantasien, ihren chaotischen Auswürfen genügend Spiel läßt, sich natürlichen Sphären zu nähern und auszuleben. Wir können etwaige Wahnvorstellungen als ein Abdriften ins Chaos betrachten, wo rettende Vernunftsfunktionen fehlen oder zum Beispiel durch Drogen ausgesetzt sind und dann dem ungelenkten Urgefühl freien Lauf lassen. Der krankhafte Wahnsinn resultiert hierbei aus einem Ausbruch aus scheinbar nicht zu bewältigenden chaotischen Gesellschaftsstrukturen,  einem Aufstau negativer Erfahrungen oder eben aus Angst vor der Schwelle zum Chaos. Diese mit Hilfe der unvorbereiteten Vernunft zu bewältigen, läßt sie vollends versagen, anstatt zu selektieren. Bildlich gesehen sollten wir versuchen, auf einer orbitalen Umlaufbahn zu bleiben, und uns nicht in die endlose Leere hinauskatapultieren. Wir müssen die Vernunftsgeschwin-
digkeit in ein relativiertes Verhältnis zu unserem Gefühlsorbit setzen, um unsere Welt zu überblicken. Dies ist natürlich umkehrbar; der erhöhten Vernunftsgeschwindigkeit muß ein höheres Gefühlsorbit zugewiesen werden. 
    Die ästhetische Grenze von Kunst und Leben ist bislang unaufhebbar die von dissonanten Harmonien und disjunktiven Synthesen, deren ,,Sinn" nicht In der gesellschaftlichen Normalität aufgehen will. Sollte man Lautremont Glauben schenken, wenn er sagt ”Meine Subjektivität und der Schöpfer, das ist für das Gehirn zuviel."? Damit hat er in den ”Gesängen des Maldoror" jene Visionen angesprochen, die ”die Schellen des Wahnsinns" berühren.     Die Grenze, die ich im Visier habe und sprengen möchte, birgt natürlich Gefahren. Im Zeichen der Entritualisierung der Kunst versieht Kunst keine höheren Dienste mehr und ist ihr Impetus auf die Dimensionen der ”Selbstschöpfung" ausgerichtet. Damit verbunden zeigt sich aber eine Hybris, welche die Kunst und die Künstler an den Grenzbereich Ihrer Existenz versetzt. 
  Nach Adorno deutet das auf eine Welt, die nur dem Imaginären kompatibel ist. Das aber macht ihre Grenze auch zur Verrücktheit aus: ”Narretei ist Wahrheit in der Gestalt, mit der die Menschen geschlagen werden, sobald sie inmitten des Unwahren nicht von ihr ablassen." (Th. W. Adorno, Philosophie und Gesellschaft, Stuttgart 1984, 5. 167) 

*
Portrait 
 
 
         Die Suche nach dem Menschen, nach dem Inneren führte mich dahin, die Oberfläche des Portraits zu überwinden, hineinzustoßen, die Kräfte zu suchen und zu spüren, welche dahinter stecken, hinter dieser Fassade und Oberflächlichkeit. Meine Selbstportraits sind zwei große Puzzlespiele (in Spielform die Kunst und den Künstler- bezug nihilisierend), die aus jeweils 63 Teilen bestehen, die mittleren in der Form identisch, so daß ich sie beliebig kombinieren kann. Jedes Bild füllt die Fläche von zehn Quadrat-
metern aus, wobei sich die Größe logisch aus der Handlichkeit und der Anzahl der Teile ergeben hat und nicht auf irgendwelcher bombastischer Effekthascherei begründet ist. 
  Ich habe durch die Kombinationsmöglichkeiten der beiden Selbstportrait-Puzzles einen Kosmos geschaffen, wobei die jeweiligen Ausgangsfotos lediglich mit einer zeitlichen Differenz von zwei Wochen erstellt worden sind. Dabei gelang es mir, die Vielfältigkeit dieser optischen, ästhetischen Oberfläche eines Portraits aufzuzeigen und in Frage zu stellen. Das bildnerische Spiel der scheinbaren Vielfältigkeit mit traditionellen Darstellungsformen, die sich inzwischen mehr um sich selbst drehen als um ein wirkliches Anliegen gegenüber dem Menschen, erscheint mir geradezu verschwindend überflüssig in Anbetracht der Möglichkeiten und des gigantischen Potentials, das sich aufspüren ließe, wenn es gelänge, die plattgetretenen Pfade der sicheren Erkenntnis zu verlassen, um so praktisch zwischen die Spalten der Einzelteile hindurchzustoßen.
  Wie durch einen Riß im Inneren eröffnen sich Einblicke, Nischen, Zwischenräume, Passagen, wodurch sich das Schweigen des Jenseits aus seiner Absolutheit ins Diesseits erschließt. 
 Lyotard formuliert so: ,,Vielmehr geht es darum, das ziellose Umherirren dieser Ströme auf Oberflächen aller Art, in Ritzen und Spalten, in den Körper, der Geschichte, der Erde, der Sprache ... plötzlich entspringen, zu unterstützen und zu fördern."                      (Intensitäten, Berlin 1977, 5. 96)
 
 
     Angesichts fortschreitender Ruinierung der Erde und der dazu parallel laufenden Erzeugung einer synthetischen Welt ist die Besinnung auf die Natur und auf eine Kultur der Sinne; also auf das in der Aufklärungsphilosophie entstandene Ideal eines ästhetischen Lebens, heute mehr denn je einsichtig. Sicherlich möchte ich nicht auf die Errungenschaften der modernen Technik, Zivilisation verzichten - zumindest auf die meisten nicht, und ich möchte auch nicht als reaktionärer, fortschrittshemmender Nihilist dargestellt werden, aber ich muß allen Opportunisten die Augen und Ohren öffnen für eine neue Ära der Evolution. 
     Der Mensch hat es sehr wohl verstanden, seine Fähigkeiten zu nutzen, sich die Erde Untertan zu machen und sich gegenüber anderen Kreaturen
- darwinistisch zu behaupten. Heute sind wir in der Lage, mit unseren Produkten militärischer Forschung die Erde mehrfach zu vernichten. Jetzt zeichnet sich aber ab, daß wir, wenn wir weiter alle Möglichkeiten der Forschung auf diese Weise nutzen, uns selber den Boden unter den Füßen wegziehen. Wir sind an einem Wendepunkt der Evolution angelangt, an dem die Erde, auf - und von - der wir leben, auf Ihre Weise in ungewohnter, entwaffnender Konsequenz zurückschlägt und uns im wahrsten Sinne die Luft weg bleiben wird. Wir müssen nun In diesem Moment der ”Reversibilltät" der Macht des Objektes über die frühere Macht des Subjektes diesem maschinellen Exorzismus Einhalt gebieten. Dabei genügt es eben nicht, auf  traditionelle Art, mit traditionellen Mitteln vorzugehen, denn die haben uns auch nicht weiter gebracht als dorthin, wo wir jetzt stehen, sonst würden wir unseren eigenen ”Dunstkreis" nie verlassen. Wir müssen uns schon auf den Kern allen Übels, den Menschen, konzentrieren, indem wir die in uns verborgenen geistigen Möglichkeiten. nutzen, um zu einem neuen allgemeinen Verständnis unserer Selbst und unserer Umwelt zu gelangen. 
   Die Kunst kann hierbei eine federführende Rolle übernehmen, da sie als symbolisches Universum, in dem die Verflechtung von Wahrheit und Wahn, von der Logik der Ordnung und der sinnlichen Oberfläche der Illusionen und Visionen eine unabweisbare Tiefe überspannt, auf die verborgenen Schätze hinweisen und unsere Sinne für das Irrationale schärfen kann. Aber heben muß diesen Schatz jeder für sich selbst. 
meino1986